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Essstörungen: Erste Anzeichen ernst nehmen

Essstörungen: Erste Anzeichen ernst nehmen

11.08.2015
Je früher eine Essstörung behandelt wird, desto besser sind die Heilungschancen. In der Regel beginnt eine Therapie aber zu spät.

Essstörungen sind saisonabhängig: Die „Hungerphase" beginnt oft im Frühling, wenn die Strandfigur zum Thema wird. Im Spätsommer und Herbst häufen sich an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie dann die Akut-Fälle.

„Patientinnen und Patienten mit einer Essstörung kommen fast immer zu spät zu uns", sagt Kathrin Sevecke, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dabei wäre die Früherkennung besonders wichtig, um eine Chronifizierung zu vermeiden. Bereits bei den ersten Anzeichen sollte ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. „Wenn der oder die Betroffene schnell Gewicht verliert, Essen versteckt und die Nahrungsaufnahme in Gesellschaft verweigert, könnte das ein Hinweis auf eine Erkrankung sein", so Sevecke. Meist treten Essstörungen im Alter von fünfzehn bis siebzehn Jahren auf, in Einzelfällen auch viel früher, so gibt es PatientInnen im Alter von zehn Jahren. Besonders gefährlich ist die Erkrankung im Kindesalter – die Pubertät verzögert sich, der Hormonhaushalt gerät durcheinander und Langzeitschäden können die Folge sein. Durch die mangelnde Eiweißaufnahme nimmt die Gehirnleistung der PatientInnen ab und sie müssen die gesunkene schulische Leistungsfähigkeit oft in der Nacht durch verstärktes Lernen kompensieren.

Eine immer größere Gefahr stellen vermeintlich spielerische Trends dar, die vor allem über soziale Medien verbreitet werden. Sei es die möglichst große Lücke zwischen den Innenseiten der Oberschenkel, wenn die Beine geschlossen sind („Thigh Gap"), oder die relativ neue „Belly Button Challenge", bei der versucht wird, mit einem Arm hinter dem Rücken herumgeschlungen den eigenen Bauchnabel zu berühren. Der jüngste Trend kommt derzeit aus Asien und nennt sich „Collarbone Challenge". Junge Mädchen versuchen dabei, möglichst viele Münzen auf dem möglichst hervorstehenden Schlüsselbein zu stapeln. All diese Trends haben eines gemeinsam – sie können Essstörungen begünstigen, verstärken oder auslösen.

Therapiemöglichkeiten werden erweitert

An der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie werden laufend etwa sechs PatientInnen mit Essstörungen stationär betreut, ambulant sind es zwischen 40 und 50. Ob der oder die Betroffene stationär aufgenommen werden muss, hängt vom Schweregrad der Erkrankung ab. Was die Kapazität angeht, ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck derzeit ausgelastet. Deshalb wird bereits in Kürze von drei auf fünf OberärztInnen aufgestockt, im Neubau in Hall (Inbetriebnahme 2017) wird es dann sogar eine Spezialstation für Essstörungen geben. Seite 2 von 2

Die Therapie besteht aus mehreren Elementen: Eine Ernährungsrehabilitation hilft den Betroffenen, einen gesunden Zugang zu Nahrungsmitteln und Nahrungsaufnahme zu finden. Weiters werden Gruppen-, Einzel- und Familientherapien durchgeführt. Diese Behandlungen würden sehr gut anschlagen, Zwangsernährung gebe es schon lange nicht mehr, so Martin Fuchs, stellvertretender Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Eine Essstörung steht oft mit einer anderen psychischen Erkrankung und einer Reihe von möglichen Belastungsfaktoren in Zusammenhang. Es ist daher wichtig, die Gesamtsituation der jugendlichen Patientinnen und Patienten sorgfältig zu erfassen", erklärt er.

Kathrin Sevecke würde sich eine Ausweitung der Therapieeinrichtungen außerhalb der Klinik wünschen: „In Tirol gibt es zahlreiche Wohngemeinschaften für psychisch erkrankte Jugendliche. Einrichtungen dieser Art speziell für Patientinnen und Patienten mit Essstörungen wären wünschenswert."

Fotos:

Kurve (Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie): In dieses Diagramm tragen PatientInnen regelmäßig ihr Gewicht ein. Dabei versuchen sie in den „grünen Bereich" zu kommen. Bei dieser Patientin sieht man einen positiven Verlauf.

Sevecke (Cornelia Seiwald): Univ.-Prof. Dr. Kathrin Sevecke ist Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Fuchs (Cornelia Seiwald): Dr. Martin Fuchs ist stellvertretender Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Hochbeet (Cornelia Seiwald): Im Garten der Kinder- und Jugendpsychiatrie pflanzen die PatientInnen gemeinsam mit ErgotherapeutInnen Gemüse und Kräuter an. Als Teil der Behandlung, soll damit ein gesundes Verhältnis zu Nahrungsmitteln vermittelt werden.

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