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Transgender Center Innsbruck

Transgender Center Innsbruck

19.04.2017
Im falschen Körper geboren zu sein, ist oft schon Belastung genug. Doch wenn der Wunsch, das eigene Geschlecht zu ändern zu einem Spießrutenlauf mit vielen AnsprechpartnerInnen wird, sind Medikamente vom Schwarzmarkt oder Operationen im Ausland manchmal die letzten Auswege. Das Transgender Center Innsbruck bietet Betroffenen nun die erste vernetzte Anlaufstelle in Österreich.

„Transgender“ und „transsexuell“ sind bekannte Begriffe. Die Betroffenen bevorzugen jedoch die Bezeichnung „transident“. Transidentität beschreibt das Phänomen, dass das biologische Geschlecht des Körpers von der empfundenen Geschlechtsidentität abweicht. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn nicht jeder transidente Mensch lässt sich behandeln. ExpertInnen gehen aber davon aus, dass von 50.000 Geburten eine Person betroffen ist. Dabei handelt es sich zu 75 % um Männer, die sich als Frau fühlen. Bisher gab es für diese Personen keine zentrale Anlaufstelle in Österreich. Viele Trans*personen sind lange auf der Suche nach professionellen AnsprechpartnerInnen. Weil diese oftmals fehlen, flüchten sie häufig in Chatrooms und verlassen sich auf Auskünfte von Selbsthilfegruppen. Dort erhalten sie nur vermeintlich richtige Informationen oder werden durch Hörensagen auf angebliche „SpezialistInnen“ aufmerksam gemacht. Nicht selten führt diese unzulängliche Beratung zum sogenannten Doktor-Shopping, bei dem die Betroffenen von Arzt zu Arzt pilgern. Um das Wunschgeschlecht zu erhalten, ist eine Operation im Ausland oft der letzte Ausweg. Dort ist ein Eingriff zwar sehr günstig, kann aber verheerende Folgen mit sich bringen.

Transgender Center Innsbruck (TGCI)
Nun gibt es an der Klinik Innsbruck eine vernetzte Anlaufstelle. Da man dort mit interdisziplinären Gremien wie z. B. den Tumor-Boards oder dem Zentrum für Seltene Krankheiten gute Erfahrungen gemacht hat, war ein gemeinsames Board ein naheliegender Schritt. Am TGCI bündeln acht Fachbereiche ihre Kräfte. Gemeinsam wurden Abläufe, Regeln und Qualitätskriterien erarbeitet. Diese Standards werden intern, aber auch an den niedergelassenen Bereich kommuniziert. Das Board trifft sich regelmäßig, um aktuelle Fälle zu besprechen und optimale individuelle Therapien zu planen. Indem sich die unterschiedlichen Disziplinen stark vernetzen und Erfahrungen austauschen, lassen sich die vielfältigen Maßnahmen besser koordinieren. Die einzelnen Behandlungs- und Abklärungs-schritte werden so transparent und nachvollziehbar. Vom Erstkontakt über die diagnostische und therapeutische Phase bis hin zur postoperativen Betreuung – das Team trifft gemeinsam alle wichtigen Entscheidungen und arbeitet bei Bedarf eng mit den externen BehandlerInnen zusammen. Betroffene erhalten so nicht nur die richtige, sondern auch notwendige Therapie.

Wie funktioniert eine Geschlechtsanpassung?
Trans*personen können sich jederzeit an der Sexualmedizinischen Ambulanz der Psychiatrie II vorstellen. In einem Erstgespräch findet dort eine diagnostische Einschätzung statt. Die Trans-sexualität ist zunächst eine Selbstdiagnose, die an der Ambulanz in einem ausführlichen Anamnese-Gespräch bestätigt wird. Ein wichtiges Anliegen in diesem klärenden Prozess ist es, das Recht auf Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung von Trans*personen zu unterstützen. Anschließend werden die gesammelten Befunde im Transgender-Board vorgestellt.

Externe BehandlerInnen können Betroffene mit ausreichenden Vorbefunden auch an die Trans-gendersprechstunde der Gynäkologischen Endokrinologie zur Hormontherapie überweisen. Bei dieser Behandlung werden körpereigene Sexualhormone gehemmt und gegengeschlechtliche Hormone verabreicht. Parallel dazu kann eine Stimmtherapie bzw. -anpassung an der Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen erfolgen. Eine operative weibliche Stimmanpassung wird im Einzelfall entschieden.

Erst nachdem die Hormone mindestens ein Jahr eingenommen wurden, können sich die Trans*personen wegen einer Geschlechtsanpassung an die Plastische Chirurgie wenden. Dort werden die operativen Eingriffe gemeinsam mit der Gynäkologie bzw. Urologie geplant und durchgeführt. Bei der Mann-zu-Frau-Anpassung werden Penis und Hoden entfernt und eine künstliche Vagina und Brüste geformt. Bei Frau-zu-Mann-Operationen werden Eierstöcke und Gebärmutter entnommen und das Brustdrüsengewebe entfernt. Auch die Konstruktion eines künstlichen Penis ist möglich. Nach den operativen Eingriffen können Trans*personen Geschlechts-verkehr haben, sie sind jedoch nicht zeugungsfähig. Daher erhalten sie noch vor Start der Hormontherapie eine Beratung bzgl. Fertilitätserhaltung.

Trans*personen werden während der gesamten Behandlung sexual-, ggf. psychotherapeutisch begleitet und jeder Schritt in einer für alle Board-Mitglieder zugänglichen virtuellen Krankengeschichte dokumentiert. Die postoperative Betreuung z. B. die Hormontherapie erfolgt ein Leben lang.

Behandlung im Kindes- und Jugendalter
Die Behandlung von unter 18-Jährigen an der Transgendersprechstunde der Kinder- und Jugendpsychiatrie verläuft anders als im Erwachsenenalter. Internationale Leitlinien sehen einen Stufenplan vor: Nach einer ausführlichen diagnostischen Phase erfolgt die Behandlung zunächst rein psychotherapeutisch, ab der Pubertät werden dann sogenannte „Hormonblocker“ eingesetzt. Erst ab dem 16. Lebensjahr werden gegengeschlechtliche Hormone eingesetzt. Junge Menschen, die diese Schritte durchlaufen, werden interdisziplinär von einem Team der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Gynäkologischen Endokrinologie sowie der Kinderheilkunde betreut. Eine operative Behandlung kann rechtlich erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgen.

Allein im Einzugsgebiet Tirol und Vorarlberg sind derzeit rund 90 Erwachsene sowie 35 Kinder und Jugendliche wegen einer Geschlechtsangleichung mit der Innsbrucker Klinik in Kontakt. Die Teammitglieder des Boards stehen extern Betreuenden in jeder Phase für Fragen zur Verfügung.

Mitglieder des TGCI an der Klinik Innsbruck:

  • Univ.-Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
  • Univ.-Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
  • Univ.-Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen
  • Univ.-Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie
  • Univ.-Klinik für Psychiatrie II
  • Univ. Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter
  • Univ.-Klinik für Urologie
  • JuristIn

Foto (v.l.n.r.): Dr. Gabriel Djedovic, OA an der Univ.-Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Univ.-Prof.in Dr.in Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Univ.-Klinik für Psychiatrie II, Univ.-Prof.in Dr.in Bettina Toth, Direktorin der Univ.-Klinik für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Dr. Markus Rungger, Stv. Direktor der Univ.-Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen und Dr. Martin Fuchs, stv. Direktor der Univ.-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter

Bildnachweis: tirol kliniken/Seiwald (honorarfrei)

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