"Ich muss zu Dr. Viola" - Ein Notruf am Innsbrucker Klinikareal
27.07.2021
17 Femizide alleine in diesem Jahr in Österreich. Die Gewaltschutzeinrichtungen des Landeskrankenhaus Innsbruck haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Klinik als sicheren Ort in der Bevölkerung bekannt zu machen.
„Ich muss zu Dr. Viola!“ Dieser Satz hilft Betroffenen jeden Alters und Geschlechts, die sich akut bedroht fühlen und Schutz und Hilfe in der Klinik suchen. Sobald eine hilfesuchende Person sich mit dem Notruf an einen Portier oder das Sicherheitspersonal wendet, startet ein interner Notfallplan, mit dem Ziel, die/den Betroffene/n an einen sicheren Ort zu bringen. Dort ist der weitere Ablauf schon seit Jahren gut trainiert und bekannt.
Drei Fragen
Bereits seit längerem wird jede Patientin und jeder Patient in den größten Ambulanzen der Innsbrucker Klinik gefragt, ob jemand weiß, dass die Person hier ist, ob es jemand nicht wissen soll und ob die Person sich bedroht fühlt. Vor allem der letzte Satz hilft PatientInnen, die zu Hause Gewalt erleben, sich dem Klinikpersonal anzuvertrauen.
Anstieg häuslicher Gewalt
Während der Pandemie und verstärkt in den Zeiten der Lockdowns befürchteten alle zuständigen Schutzeinrichtungen einen Anstieg der häuslichen Gewalt. „Schon in der ersten Pandemiewelle begann die Opferschutzgruppe des LKI mit einem Konzept, die Klinik als sicheren Ort in der Bevölkerung bekannt zu machen“, erläutert Alexandra Kofler, Ärztliche Direktorin der Klinik Innsbruck. Der Satz „Ich muss zu Dr. Viola“ gibt Betroffenen (Jugendlichen wie Erwachsenen) die Möglichkeit, selbst wenn sie nicht frei sprechen können oder wollen, einen Hilferuf abzusetzen.
Dr. Viola
Wieso Dr. Viola? Vorranging war bei der Auswahl eine leichte Aussprache des Namens für alle – auch für jene Personen, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Zudem lehnt sich „Viola“ an Violence an. Die Farbenlehre beschreibt Violett als Verbindung von Rot (Weiblich) und Blau (Männlich) zu einer gleichberechtigten neuen Farbe.
Mosaikstein
„Dieser Notruf fügt sich als weiterer Mosaikstein in eine möglichst umfassende Versorgung für gewaltbetroffene Menschen ein“, so Thomas Beck, Psychologe an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Medizinische Psychologie und Leiter der Opferschutzgruppe am LKI. „Entscheidend ist hier der niederschwellige Zugang“, erklärt Andrea Hohenegger, leitende Diplompflegerin der Orthopädischen & Traumatologischen Ambulanz Innsbruck und stv. Leiterin der OSG. Aus Erfahrung wisse man, dass die Angst vor Vorurteilen, davor nicht ernst genommen zu werden und selbst als Schuldige/r verurteilt zu werden, die größten Hemmschwellen sind, um Hilfe zu bitten. Der Satz „Ich muss zu Dr. Viola“ funktioniert wie ein Codewort, das vom geschulten Personal der Klinik dechiffriert wird.
Zahlen
Im Landeskrankenhaus Innsbruck werden im Schnitt bei einer/einem PatientIn pro Woche Spuren von häuslicher Gewalt festgestellt. Tendenziell handelt es sich dabei um mehr Frauen als Männer. Obwohl aufgrund der COVID-19 bedingten Lockdowns weniger PatientInnen in die Krankenhäuser kommen konnten, veränderte sich diese Zahl nicht. „Verändert haben sich hingegen die Verletzungsmuster. Diese sind deutlich schwerer geworden“, ergänzt Thomas Beck.
Fotonachweis: (tirol kliniken/Schwamberger)
Gruppenfoto: v.l.: Alexandra Kofler, Ärztliche Direktorin der Klinik Innsbruck, Andrea Hohenegger, leitende Diplompflegerin der Orthopädischen & Traumatologischen Ambulanz Innsbruck und stv. Leiterin der OSG an der Klinik Innsbruck, Thomas Beck, Psychologe an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Medizinische Psychologie und Leiter der Opferschutzgruppe an der Klinik Innsbruck